Entsetzt über Gauland bei XING. Wir müssen reden, Klartext!

Am 31.05.2017 um 11:37 schrieb ich

Moin XING,

entsetzt nehme ich zur Kenntnis, dass Sie auf „XING News“ rechtsradikalem Gedankengut eine Plattform bieten (Gauland: „Deutschland hat erheblichen Nachholbedarf an Überwachung“).

Ihre müde Begründung „Die Auswahl der Online-Nachrichten wird auf Basis ihrer Popularität automatisch vorgenommen. XING ist für den Inhalt nicht verantwortlich und trifft mit dem Versand keine Bewertung oder Unterstützung für ggf. enthaltene Produkte, politische Parteien oder Firmen.“ liest sich für mich ab heute als eine verantwortungslose Ausrede.

Den „XING-Newsletter“ habe ich abbestellt – die Kündigung meiner XING-Mitgliedschaft behalte ich mir vor.

Mit verstörten Grüßen,
Hans vom Schloß – bereits seit „openBC“ Kunde


 

Am 01.06.2017 um 12:30 schrieb Jennifer Lachman

Sehr geehrter Herr vom Schloß,

danke für Ihre e-Mail. Als Chefredakteurin bei XING News darf ich Ihnen antworten.

Wir nehmen das Feedback unserer Nutzer immer ernst und bedauern, falls der Beitrag Sie, wie Sie schreiben, verstört hat.

Erlauben Sie mir zur Erläuterung den folgenden Hinweis:

XING Klartext ist eine unabhängige, politisch neutrale Plattform für Debatten. Wie im Disclaimer unter dem Text von Herrn Gauland – und allen anderen Beiträgen zur Bundestagswahl – aufgeführt ist, haben wir zehn aktuelle, wahlrelevante Fragen gleichlautend an Vertreter von sechs Parteien gestellt und um Beantwortung gebeten. Die AfD ist in 13 von 16 Landtagen vertreten und erfüllt damit – wie CDU/CSU, SPD, Grüne, Linke und FDP – das Kriterium, das schon bei der Wahlberichterstattung auf XING 2009 und 2013 galt: Jede Partei, die in mindestens zwei Landtagen sitzt, muss als relevant genug betrachtet werden, um an der inhaltlichen Auseinandersetzung beteiligt zu werden. Laut aktueller Prognosen hat die AfD im September realistische Chancen, in den Bundestag gewählt zu werden. Es ist daher die Auffassung der Redaktion, dass wir uns in der Demokratie mit den politischen Inhalten und Zielen der AfD transparent und intensiv auseinander setzen müssen. Anhand der Klartext-Debatten können sich die XING-Mitglieder dann ihre eigene Meinung bilden. XING Klartext ist damit als Modell das Gegenteil der viel diskutierten Filterblasen.

Ich hoffe, dass dies zur Einordnung beiträgt und verbleibe

mit freundlichen Grüßen,

Jennifer Lachman
Chefredakteurin XING Klartext


 

Am 01.06.2017 um 16:56 schrieb ich

Sehr geehrte Frau Lachman,

haben Sie vielen Dank für Ihre E-Mail.

„XING“ ist ein international aufgestelltes Unternehmen mit knapp eintausend Mitarbeitern und einem dreistelligen Millionenumsatz; nach eigenen Angaben werden durch Ihre Arbeit jeden Tag 200000 neue berufliche Kontakte geknüpft.

Als Medienschaffende sind Sie sich darüber bewusst, dass „Aufmerksamkeit“ die Währung des 21. Jahrhunderts ist. Global lernen wir in diesen Zeiten, dass allein durch mediale Aufmerksamkeit Entwicklungen und Entscheidungen möglich werden, die jenseits von Fakten, Verantwortung und Verstand liegen – denken Sie an „Brexit“ und „Trump“.

So etwas wie eine „politisch neutrale Plattform“ gibt es daher nicht. Wem auch immer Sie „Aufmerksamkeit schenken“, den unterstützen Sie. Sind Sie sich als Chefredakteurin bei „XING News“ dieser Verantwortung bewusst?

Als Medienunternehmen ist Ihr Arbeitgeber natürlich der Logik der Marktwirtschaft unterworfen – auch Ihr Gehalt wird von den Erträgen bezahlt, die XING letztendlich durch Medienwirksamkeit (hier: Bekanntheitsgrad) erwirtschaftet.

Aber ist es da „clever“ einer Gesinnung Raum zu geben, die die Vielfalt unserer Gesellschaft verneint, Ressentiments gegenüber anderen Religionen und Kulturkreisen schafft und deren erklärtes Ziel es ist, die Offenheit in Diskussion und Meinung zu untergraben?

Meinungsfreiheit hört dort auf, wo Menschen gezielt diskriminiert und ausgegrenzt werden.

Verschließen Sie nicht Ihre Augen vor den Inhalten, die Sie veröffentlichen. Lesen Sie und begreifen Sie, welchem Gedankengut Sie willfährig eine bedeutende Reichweite schenken. Eine lebendige Demokratie lebt von der Verantwortung eines jeden Einzelnen, jeden Tag. Sie als reichweitenstarkes Unternehmen haben Möglichkeiten, die Sie nutzen könnten – ja müssten.

Hinter dem erwähnten „Disclaimer“ und Ihrer Rechtfertigung über „Relevanz“ verstecken Sie eine fehlende Haltung. Sie beziehen keine Stellung. Damit aber wird XING zu einem Teil jener „Schweigen Mehrheit“, die schon den 1930er-Jahren die Katastrophe möglich gemacht hat: Sie handeln nicht, Sie laufen nur mit. Schlimmer noch: Mit Ihrer Reichweite unterstützen Sie.

Setzen Sie daher ein klares Zeichen gehen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und zeigen Sie Zivilcourage gegenüber den Feinden unserer offenen und vielfältigen Gesellschaft. Nicht nur aus unternehmerischen Gründen, sondern aus Ihrer demokratischen Verantwortung heraus als Bürgerin.

Mit freundlichen Grüßen
Hans vom Schloß


 

Am 01.06.2017 um 17:37 schrieb Jennifer Lachman

Sehr geehrter Herr vom Schloß,

danke für Ihre ausführliche Antwort.

Natürlich bin ich mir dieser Verantwortung bewusst. Wir haben im Vorfeld sehr intensiv darüber diskutiert, wie wir mit der AfD umgehen. Sie zu ignorieren, wenn sie schon in 13 Landtagen sitzt? So zu tun, als würde sie im September nicht in den Bundestag einziehen? Unser Ansatz, wie erläutert, ist es, sich über Fakten mit dieser Partei auseinanderzusetzen. Sie erwähnen Brexit und Trump: In beiden Fällen konnten wir beobachten, dass – leider – ein Großteil der Menschen eine Meinung hegt, diese aber für sich behält, um dafür nicht kritisiert zu werden. Das kann nicht unser Verständnis von Demokratie sein. Nur, wenn wir offen auch über Partei-Ziele von zB der AfD diskutieren, schaffen wir die notwendige Transparenz, um mit einer solchen Partei umzugehen.

Ihren Vorwurf, ich bzw. würden XING zum Teil „jener „Schweigenden Mehrheit“, die schon den 1930er-Jahren die Katastrophe möglich gemacht hat“, machen, weise ich entschieden zurück.

Viele Grüße & einen schönen Abend,
Jennifer Lachman


 

Am 02.06.2017 um 18:37 schrieb ich

Sehr geehrte Frau Lachman,

vielen Dank für Ihre erneute Erwiderung. Für unsere kleine Korrespondenz bin ich rechtschaffen dankbar, offenbart sie mir doch Einblicke in Mechanismen, die nach meinem Dafürhalten symptomatisch für die gesamte Medienlandschaft sind. Unseren kleinen Disput will ich daher auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen (natürlich bereinigt von E-Mail-Adressen).

Sie argumentieren, Rechtsextreme nicht ignorieren zu können, weil sie bereits in vielen Landesparlamenten säßen und vermutlich in den Bundestag einzögen. Von Ignorieren schrieb auch ich nichts; ich bat vielmehr um aktives Handeln und empfahl ein deutliches Zeichen zu setzen gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung. Angenommen, Sie hätten deutlich kommuniziert, radikale Rechtspopulisten bewusst nicht zu Wort kommen zu lassen – Sie hätten Ihre Auseinandersetzung gehabt auch ohne deren Gedankengut zu verbreiten.

Ihr Ansatz, so schreiben Sie, sei es sich über Fakten mit dieser Partei auseinanderzusetzen. Wie machen Sie das? Sie geben Intoleranten Gelegenheit Ihre kruden Ansichten darzulegen und hoffen auf eine Diskussion. Diese Partei und ihre Anhänger aber haben längst bewiesen, dass sie keinen Wert auf eine Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit legen: journalistische Darstellungen werden als „Lügenpresse“ abgelehnt.

Sie verneinen Ihre Verantwortung über eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Anschein, sich einer scheinbaren Pluralität verpflichtet zu fühlen. Sie übersehen dabei, wie brandgefährlich Ihr Ansatz ist: Sie werden benutzt. Das Spiel zwischen „Provokation und Relativieren“ beherrschen Rechtspopulisten von Le Pen über Farange und Wilders bis hin zu Trump inzwischen perfekt. Erinnern Sie sich bitte an „Schusswaffengebrauch an der Grenze“ (Petry / von Storch), „Umdeutung des Begriffes ‚völkisch‘“ (Petry) sowie „Holocaustmahnmal und Volksverhetzung“ (Höcke).

Daraus ließe sich ein weiterer Vorwurf ableiten – nicht nur Ihnen gegenüber, sondern gegen alle profit- und quotenorientierten Medien: Sie wissen sehr wohl, was sie tun. Ich unterstelle Ihnen nicht, dem Gedankengut inhaltlich folgen zu wollen, nein. Ich unterstelle allen „Schlagzeilenmachern“, selbst Reichweite zu erzeugen. Empörung lässt sich großartig verkaufen.

Ich empfehle die Lektüre von Max Frisch: „Biedermann und die Brandstifter“.

Mit freundlichen Grüßen
Hans vom Schloß


 

Auf meine letzte E-Mail habe ich bis heute (31.07.2017) keine Antwort erhalten.

Meine „XING Premium Mitgliedschaft“ habe ich gekündigt; sie wird im Oktober auslaufen.

 

Beitragsbild: CC BY 2.0 | Bild von „– Lythy –

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2 Antworten zu Entsetzt über Gauland bei XING. Wir müssen reden, Klartext!

  1. Stephan sagt:

    Lieber Hans, ich danke dir für diesen ausgesprochen intelligenten Kommentar und den Disput mit Frau Lachmann. Ich gebe dir in allen Punkten vollkommen recht. Inzwischen ist das Buch “wie Demokratie in sterben“ erschienen und es zeigt, dass es der Anfang von allem Übel ist, Radikalen ein Forum zu bieten. Hätten Sie diese Foren nicht, würden sie viel schneller absterben. Leute wie Gauland sind ja nicht dumm, sie wissen, wie man Argumente so wählt, dass man immer wieder neue Leute überzeugen kann. Das kann man deutlich an ihrem stetigen Anstieg in der Wählergunst sehen.
    So geschickt Frau Lachmann auch argumentiert, sie sollte begreifen, dass sie Sauerstoff ins Feuer bläst. Und sie sollte das oben erwähnte Buch lesen. Unbedingt! Wie ihr alle, die ihr dies lest. Stephan

  2. Klaus Petzold sagt:

    Sehr geehrte Frau Lachmann, sehr geehrter Hans vom Schloss, danke für den anregenden Gedankenaustausch! Die von Frau Lachmann angeführten Argumente sind ebenso beachtenswert wie die deutliche Kritik von Hans vom Schloss.
    Mit einem Unterschied: Herr vom Schloss äußert ernsthafte Kritik. Frau Lachmann versucht, diese letztendlich ins Leere laufen zu lassen mit fast schon rabulistischen Argumenten. Ich will sagen:
    1. Unser Staat als demokratisches Gebilde kann nicht anders: Ein Herr Gauland und _ eine AFD müssen im demokratischen Rahmen geduldet werden.
    _ Demokratie ist eben nicht einfach.
    2. Eine „Platt“-Form (der Gag muss für einen Norddeutschen einfach kommen…) wie _ Xing hingegen kann nach eigenen bzw. anderen Gesetzen agieren. Dazu ein __Beispiel: Wenn ich einen Shop für „Fan-Artikel“ unserer politischen Parteien __betreibe, kann mich niemand zwingen, neben Artikeln für (ne,ne…ich nenne hier __keine Namen) eben auch Artikel der ….. wie war noch gleich der „Name“ Af. ??? zu __verkaufen. Das heißt, sehr geehrte Frau Lachmann: Es ist Ihre Entscheidung, was __Sie veröffentlichen bzw. stehen lassen. KEIN MUSS! Ihre freie (?) Entscheidung.
    Es soll ja jede/r seine/ihre Meinung frei äußern können. Aber auch in einer Demokratie sind gewisse Äußerungen nicht gestattet. Auch Demokratie hat ihre Grenzen. Ein freies Unternehmen wie Xing „muss“ noch viel weniger zulassen, als eine Demokratie. Sie wollen es so!

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